Suche nach den Ursachen des Windradbruchs in Koßdorf Das Lagergehäuse der Nabe hängt am Kranhaken. Am gestrigen Mittwoch ist das Windrad zur weiteren Begutachtung auseinandergenommen und abtransportiert worden. Foto: Frank Claus

Die Szenerie erinnert unweigerlich an die Bilder eines Flugzeugabsturzes. Wie Tragflächen hängen erst Teile des Generatorenhauses am Kranhaken. Als das Lagergehäuse der Nabe in der Luft baumelt, sieht es aus, als wäre es ein Jumbo-Triebwerk. Zum Glück: Schnell holt einen die Realität zurück. Aufatmen. In diesem Fall sind keine Menschen zu Schaden gekommen.

Die Windpark Koßdorf GmbH hat 1999 das von der DeWind Lübeck produzierte Windrad D4 48/600 erworben. DeWind gibt es nicht mehr, ist inzwischen eine Tochter des südkoreanischen Konzerns Daewoo. Am Standort gehört das havarierte Windrad zu den zuerst gebauten. Inzwischen drehen sich auf dieser Straßenseite weitere zehn Windräder.

Ursachenforschung und Beräumung ist am gestrigen Mittwoch auf dem Acker bei Koßdorf angesagt. Die mit den Wartungsarbeiten beauftragte Firma und unabhängige Sachverständige sind am Werk. Schrittweise werden die Reste des Turms und das Generatorenhaus zerlegt. Etwas abseits liegt der mit Schneidbrennern abgebrannte, stark deformierte Flansch im Gras. Was einst rund war, sieht jetzt aus wie eine Niere. Schon in der vergangenen Woche hat Jürgen Holzmüller mit seiner Mannschaft vom 8.2. Ingenieurbüro Holzmüller Aurich – von der IHK als Sachverständiger für Windenergieanlagen und deren Bewertung öffentlich bestellt und vereidigt – Schrauben und Muttern sichergestellt und eine erste Entdeckung gemacht. Fast alle Gewinde der 80 Bolzen sehen aus wie glatt gelutscht. Unheimliche Kräfte müssen gewirkt haben, die zuerst den oberen Teil des Windrades nach oben gehoben und schließlich auf den Boden krachen ließen. Durch den Aufprall ist der Turm ein weiteres Mal zerrissen. Auch dort zeigen Teile der Bolzen ein ähnliches Bild. Einige hat es völlig abgeschert.

Abtransport des Windrades in Koßdorf Abtransport des Windrades in Koßdorf Abtransport des Windrades in Koßdorf
Bilderstrecke Koßdorf | 17.12.14
Abtransport des Windrades in Koßdorf

Am gestrigen Mittwoch soll das Steuerteil aus dem völlig demolierten Generatorenhaus geborgen werden. Es ist so etwas wie die "Blackbox" im Flugzeug und liefert wichtige Informationen zur Arbeitsweise der Anlage, zu der ansonsten Funkkontakt besteht. Am Mittwochnachmittag der Vorwoche war der abgebrochen. Sturmböen fegten übers Land, obwohl Sturmtief "Billie" erst am nächsten Tag heftiger wurde. Und dennoch wird in Koßdorf schnell die Vermutung laut, dass eine Windhose die Ursache gewesen sein könnte. Der Tornado am Pfingstmontag 2010 über Mühlberg schießt ins Gedächtnis. Anwohner aus Koßdorf und dem nicht mal fünf Kilometer direkt an der Elbe befindlichen Stehla berichten von starken Böen. Einer der Besitzer der Windkraftanlage will von einem Mann aus Koßdorf wissen, dass es selbst volle Bierkästen über den Hof gewirbelt habe.

Jürgen Holzmüller, seit 1989 in der Windenergiebranche tätig und seit 1998 Sachverständiger, will sich mit diesen Theorien nicht weiter beschäftigen. Er konzentriert sich aufs Technische. An mehr als 5000 Anlagen habe er mit seiner Mannschaft schon Bewertungen vorgenommen. Aufkommende Fragen nach der Standsicherheit der "Mühlen" beantwortet er mit Statistik: Etwa 24 000 Windenergieanlagen gebe es in Deutschland, seit 1998 sind ihm nur fünf Totalausfälle bekannt. Er verweist auf die regelmäßigen Wartungen. Bestimmte Anlagenteile seien halbjährlich, bestimmte jährlich und einige auch alle vier Jahre zu warten. Im Fall der havarierten Anlage seien die Wartungen laut "Papier" ordnungsgemäß durchgeführt worden. "Jetzt müssen wir prüfen, wie das passierte und ob die richtigen Werkzeuge eingesetzt wurden", so Holzmüller.

Suche nach den Ursachen des Windradbruchs in Koßdorf Ursachenforschung am völlig zerstörten Generatorenhaus. Foto: Frank Claus

Denn sicher ist, die bei der Montage voll vorgespannten Verbindungen haben der Belastung nicht mehr standgehalten.

Frank Weise, Geschäftsführer der Vestas Blades Deutschland GmbH in Lauchhammer, den die RUNDSCHAU um eine Einschätzung gebeten hat, sagt: "Die Bolzen, mit denen die Turmsegmente verbunden sind, sind natürlich kritische Konstruktionselemente. Bei Vestas werden sie nach der Montage, dann nach sechs Monaten und anschließend im Betrieb nach einer regelmäßigen Prüfsequenz (12 bis 48 Monate) gemäß Prüfplan im Rahmen der Herstellerwartung nachgespannt. Dafür benötigt der Wartungsmonteur hydraulische Werkzeuge und Prüfmittel, die sehr teuer und unter Umständen für den Anlagentyp spezialisiert sind. Werden diese Kontrollen unsachgemäß oder nicht regelmäßig ausgeführt, kann es zu Ermüdung, Überdehnung oder Lösung der Bolzen kommen. Dass dann aber gleich ein ganzer Turmkopf abkippt, ist ein extremer Fall, von dem ich noch nicht gehört habe. Da muss schon einiges schiefgelaufen sein."